Beerdigung
Tarsakh in the Year of the Scarlet Witch, DR 1491
Savage FrontierWildes GrenzlandLogbuchSavage Frontier Buch 2
897 897 Wörter
08.05.2022 08:22 +0000
Das tote Mädchen lag noch immer unter dem blühenden Rosenbusch. Sie sah so friedlich aus. Und traurig. Mit Hilfe seiner Gefährten schaffte es der kleine Paggen den Körper des Mädchens aus der engen, dornigen Umarmung zu befreien. Die sterblichen Überreste der mutmaßlichen Familie wurden auf den Karren geladen. Auf zur Ansiedlung. Auf zu Antworten!
Es wurde abgemacht, dass Snake Eyes und Anselma zunächst beim Karren zurückblieben. Ich bemerke, wie sich die Flüchtlinge aus dem Unterreich besser aufeinander einstellen. Vermutlich ist das auf meinen Einfluss zurückzuführen. Dennoch bin ich neugierig und so folgte ich den übrigen hin zum Weiler.
Einige Dutzend Meter vor den Gebäuden war ein Scheiterhaufen einer Feuerbestattung zu finden. Die Überreste von verkohltem Holz vermischten sich mit denen einer verbrannten Leiche. Gumba, Maeral und Paggen untersuchten den Ort. Auf dem Boden jede Menge Spuren von Leuten. Und Huftieren. Verbrannt wurde ein Mensch. Das Leichentuch schien das Symbol einer gepanzerten Hand in Flammen zu zeigen. Wirklichkeit oder Wunschdenken? Waren die Ritter des Ordens der Faust der Gerechtigkeit hier? Gar verantwortlich für die Hinrichtung oben am Waldrand? Mancher hatte es bereits vermutet. Ich gebe zu: ich vermute das auch.
Die erste Hütte rechts des Weges gehörte der getöteten Familie. Eine verletzte Hündin weiß nicht recht, ob sie das Heim verteidigen oder vor den Fremden Angst haben sollte. Es ist ein lieblicher Ort. Gelbe und weiße Blumen blühen überall am Wegesrand, in Töpfen und sogar einfach so an den Wänden. Ein Gemüsegarten ist bereitet. Viele kleine Frühlingsblumen wachsen auf dem Gras um die Hütte. Das Eichhörnchen ist wieder da und beobachtete uns. Ich beobachtete das Eichhörnchen. Sehr interessant. Sehr ungewöhnlich.
Auf den ersten Blick war niemand sonst zu sehen. Eine unheimliche Stille lag über den Hütten. Ein feiner Regen trieb wie Staub in der Luft und dämpfte die Geräusche. Rufen und Klopfen führte zu nichts. War da nicht eine Bewegung an einem Guckloch unterhalb des Giebels? Maeral ließ Mellon in die Hütte fliegen. Er berichtete, dass dort drinnen und an dem kleinen Fenster ein Einwohner mit einer alten Armbrust saß und uns aufmerksam beobachtete. Unten im Hauptraum drängten sich vielleicht ein Dutzend Leute. Unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Sie versuchten leise zu sein. Sie versuchten keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Ein mächtiger Ruf erschallte. Der Ruf war noch am Waldrand bei Snake Eyes und Anselma deutlich zu hören. Der Ruf kam von Herrn Gumba. Die Leute in den Hütten dürften damit noch mehr Angst gehabt haben. Vielleicht auch, weil mit dem Drachengeborenen und der Barbarin nun noch bedrohlichere Gestalten im Weiler herumstrichen. Vielleicht einfach wegen allem: einer der Leute sprach mit Gumba Kahn. Gut, zu einem richtigen Gespräch kam es nicht. Die Einwohner verlangten nur, dass wir verschwinden sollten. Ich bewunderte die Ausdauer, welche die Gefährten in die Überzeugung der Verbarrikadierten steckten. Und es zahlte sich tatsächlich aus. Aus einer sehr starken Vermutung wurde Gewissheit: die Toten waren eine Familie: Danara und ihre Tochter Nilfa aus einer früheren Partnerschaft; Arzuk, ihr orkischer Gefährte und ihr gemeinsamer Sohn Patrick. Welch eine Tragödie! Ein orkischer Familienvater erscheint mir noch immer abartig. Andererseits: was spricht denn schon dagegen? Ich habe bereits Tieflinge als respektierte Mitglieder von ehrenvollen Gemeinschaften kennengelernt. Und regelreichte Teufel in Menschen- oder Elfengestalt sind mir aus der fernen Vergangenheit nicht fremd. Diese Erkenntnis machte die ganze Angelegenheit für mich nicht besser. Im Gegenteil. Ich zeige meine Gestalt beim Begräbnis der Familie und schwöre beim Licht Amaunators: es wird Gerechtigkeit geben für diese Tat!
Am nächsten Morgen machten wir uns wieder auf den Weg. Die Hündin und das Eichhörnchen waren seitdem unsere Begleiter. Oft haben wir an die Familie gedacht. Oft haben die Gefährten am Lagerfeuer geredet. Viele Leute sind nicht auf dem Evermoorweg unterwegs. Eine größere Reitergruppe hat etwa einen Tag vor uns diesen Weg genutzt. Die Faust der Gerechtigkeit? Meine Gefährten sind sich sicher neben Hufspuren auch Abdrücke von Wagenrädern im feuchten Boden zu erkennen. Diese naturnahen Fertigkeiten dieser Barbaren wirken in einer exotischen Art und Weise beeindruckend auf mich.
Ohne weitere, aufregende Begebenheiten erreichten wir gestern Calling Horns. In der Gemeinsprache übersetzt „Rufhorn“. Wie dieser tragen viele Orte illuskanische Namen. Eine kleine Siedlung, die sich um ein Gasthaus gebildet hat. So hat man es uns gesagt. Ein Karawanenplatz, ähnlich wie in einer in Triboar, wurde von den ehemals Geflüchteten ausgeschlagen. Die namengebende Wirtschaft selbst sollte die Unterkunft für die Nacht werden. Begrüßt wurden wir von Tamalin Zoar. Recht wissbegierig fragte sie die Gefährten aus. Im Gegenzug bestätigte sie: die Faust der Gerechtigkeit sei gestern hier durchgekommen. Ungemütliches Volk. Aber auch nützlich, die Straßen vor Wegelagerern zu schützen.
Der Herr Gumba tat es mir nach. Er belauschte die Gespräche der anderen Gäste am Abend. Eine Stadt mit Namen Everlund sei aus der Allianz der Lords ausgetreten. In Silverymoon ist ein Sohn von irgendwem an der Macht und er wird von den Leuten hier nicht mit Respekt bedacht. Über unser nächstes Ziel - Noanar‘s Hold - erzählt man sich Gruselgeschichten von fünf kopflosen Reitern. Und es gibt wieder Nachrichten über Riesen, die Siedlungen überfallen. Diesen Geschichten wissen meine Gefährten eine weitere Geschichte hinzuzufügen.
Es ist Nacht über Calling Horns. Ich sitze auf dem Dach des Gasthauses und erwarte den Sonnenaufgang. Nur einsame Tiere streifen umher. Wie das Eichhörnchen. Ich spüre, wie Snake Eyes erwacht. Bevor ich mich entschließe diesen angenehmen Platz zu verlassen höre ich schon die Rufe von unten: “Ein Troll! Ein Troll! Am Stall! Zum Stall!”