Bewährungsprobe


Auftrag erledigt. Es ist zwar eine recht bodenständige Aufgabe gewesen, diese Pferdeharnische auszuliefern, aber eine erledigte Aufgabe ist eine erledigte Aufgabe und es fühlt sich gut an. Nützlich zu sein. Etwas tun zu können. Nach so langer Zeit in der Dunkelheit.

Das hier ist also Noanar’s Hold. “Hold” ist der illuskanische Name für “Feste”. Das namengebende Gebäude ist eine kleine, trutzige Burg aus Stein. Es wirkt ein wenig zwergisch auf mich, mit harten Ecken und Kanten, kleinen schießschartenartigen Fenstern und 3 quadratischen Türmen. Einer der Türme ist beschädigt, möglicherweise von einem Blitzschlag. Maeral schickte seinen Familiar Mellon los um zu kundschaften. Alle Fenster und Öffnungen sind zugemauert. Alle Öffnungen, bis auf die prächtige, hölzerne Doppeltür zum Hof, auf dem wir alle stehen. Die Türen haben bereits einige Jahre gesehen, aber es sind beachtenswerte Stücke mit kunstvollen Schnitzereien von Bäumen und Waldtieren. Die Burg ist trotz ihrer Beschädigungen und den kruden zugemauerten Fenstern keine Ruine. Ihr fehlt einfach ein wenig Mühe. Es fehlt das Bemühen hier eine Heimat zu schaffen.

Dem ganzen Ort fehlt es an daran. An den kleinen schönen Dingen. An Licht. Das Morgenlicht hat es schwer, den Boden zu erreichen, an diesem düsteren Westhang unterhalb der Feste und der hohen, dunklen Bäume des Waldes. Das macht mich traurig. Das Licht des Morgens ist so wichtig für das Leben. In den Augen der Bewohner fehlt das Licht.


Ich schaudere ein wenig und erfreue mich an der Erinnerung der vergangenen Tage. Es war so schön meine Gefährten zu beobachten. Diese Leute, die mich aus der Dunkelheit gerettet haben, sind selbst zu lange in der Dunkelheit gewandert. Mein Licht leitet sie jetzt. In Calling Horns haben sie inmitten der finsteren Nacht zwei ausgewachsene Trolle besiegt. Eine große Bedrohung. Eine echte Bewährungsprobe. Wie eine Einheit haben sie gehandelt. Gemeinsam, tapfer und tugendhaft! Selbst die Tiere können dies spüren. Die Tapferkeit wächst sogar in dem ungewöhnlichen Eichhörnchen. Und sie wächst bei Snake Eyes, Anselma, Paggen, Maeral und Gumba. Der Zwerg hat die Tugend ein weiser Anführer zu sein. Snake Eyes lernt mein Leuchten und die göttliche Energie Bahamuts zu verbinden. Anselmas Kraft kommt aus der Erde, furchtlos wie der Fels. Mit dem Licht, mit Hammer und Feuer setzten beide ihren Gegnern zu. Paggen ist erfindungsreich, dieser ölige Schlick war sehr clever. Ein großer Vorteil für die Krieger im Nahkampf. Maeral warf magische Säure und Feuer zielsicher aus der Ferne, um die Schwäche der Menschenfresser auszunutzen. Gumbas Gebete stärkten die Gefährten und schwächten die Gegner. Entscheidend, wie ich anmerken möchte. Ich fühle stolz auf meine Retter. Freude durchströmt mich, wie sehr ich ihnen schon helfen konnte. Obwohl sie es vielleicht gar nicht bemerken. Mir genügt der Anblick und die schöne Erinnerung als Dank.

Troll

Die Besitzerin des Rasthauses in Calling Horns, Tamalin Zoar, war ebenso erfreut und beeindruckt wie ich. Sie bot den Gefährten einen Auftrag an: im Norden, in den Mooren, nachzusehen, was die Trolle dazu bringt, die Siedlung am Evermoorweg ungewöhnlich oft zu überfallen. Fähige Leute wären gesucht im Norden. Sie würde sie auch mit einem Schreiben ihrer einflussreichen Familie in Everlund empfehlen. Einen Namen für ihre Gruppe wäre allerdings hilfreich, merkte sie erneut an. Meine Retter stimmten der Heuer zu, aber zuallererst wollte man den Lieferauftrag von Narth Tezrin erledigen. In einigen Tagen würde man wieder zurück nach Calling Horns kommen, so bekräftigten sie ihre Absichten.

Die Reise auf der Straße war ruhig. Zwei Tage von Calling Horns bis Noanar’s Hold. Keine Seele begegnete uns. Nur die Spuren und Hinterlassenschaften an Rastplätzen erinnerten uns daran, dass noch andere Reisende in der Wildnis des Nordens unterwegs sind. Andere, wie die Faust der Gerechtigkeit. Oft habe ich an diese Truppe gedacht. Wie es wohl werden wird, wenn wir erneut auf sie stoßen? Der Abzweig nach Süden, den wir nahmen, ist weit weniger benutzt als der Evermoorweg von West nach Ost. Das Gras auf dem Weg beginnt hochzuwachsen und Boris kämpfte sich mit dem Karren im Schlepptau über den holprigen Pfad. Es war aber auch sehr friedlich. Wolken zogen über uns hinweg. Manchmal blickte die Sonne hindurch. Ich spürte ein wunderbares Gemeinschaftsgefühl.


Meine Gedanken kehren in die Gegenwart zurück. Dem Klopfen von Snake Eyes an der Eingangspforte zur Feste folgte zunächst Stille. Eine geraume Zeit später war eine barsche Stimme zu hören. Ein Guckloch hatte sich auf 4 Fuß Höhe geöffnet. Das macht Sinn. Der Kastellan Amrath Mulnobar ist ein alter Zwerg. Mit grauem Haar und grauem Bart. Er öffnete mit einigem Getue die Türen und ordnete an, dass die Lieferung im Vorraum abgeladen werden sollte. Die Gefährten kamen der Aufforderung nach, ließen sich den Lieferschein zeichnen und wurden alsgleich vom Hof gescheucht. Wie unhöflich!

Auf zum Gasthaus. Es trägt wie viele Gasthäuser auch einen illuskanischen Namen: “White Hart Inn”. Das Gebäude unterscheidet sich schon von den anderen Häusern hier im Dorf. Ein achteckiger Hauptbau mit vier kleineren Anbauten aus Holz. Metallene Tierköpfe sind als Wasserspeier angebracht. Das Dach war einmal bunt bemalt. Wie eine Art Zirkuszelt. Es ist ein altes Gebäude. Das Äußere passt sich in den Ort ein. Ein wenig schäbig, doch nicht wirklich verfallen. Lieblos. Farblos. Und abgeblättert. Licht flackert hinter undurchsichtigen und schmutzigen Butzenglasfenstern. Einer der Anbauten ist wohl der Stall. Drei prächtige Pferde stehen bereits dort. Es gibt außer uns andere Gäste? Das hätte ich hier nicht erwartet. Wer in Amaunathors Namen, reist bitte freiwillig an diesen trostlosen Ort? Wir werden es erfahren und öffnen die Türen zum Gastraum.

White Hart