Nachtblut


Wir schreiben das Jahr 128 in dem der ehrenwerte Hashkar den Vorsitz innehat. Dies sind die Aufzeichnungen eines bescheidenen Chronisten. Ich befinde mich auf einer Erkundungsreise zu den materiellen Sphären der wilden Völker des Multiversums. Weit entfernt von der Zivilisation schwebe ich mutig dorthin, wo noch nie zuvor eine gebildete Kreatur gewesen ist. Gegenwärtig berichte ich aus der Region der Schwertküste von Faerûn.


Der erste Versuch sich von dem Tempel des Annam umbringen zu lassen, ließ nicht lange auf sich warten. Meine Versuchsgruppe, die sich selbst die Tall Hunters nennt und die ich gerade begleite entscheidet sich für die gewaltigen Türen rechts des Portals. Die Leute sind sich einig, dass ihnen ein wichtiger Bestandteil fehlt, um das Portal zu aktivieren. Meiner Theorie zufolge benötigt man einen Vertreter - oder selbstverständlich eine Vertreterin - eines der Riesenvölker und eine der „heiligen“ Waffen aus dem Raum der Statuen, der so etwas wie die Eingangshalle des Tempels bildet. Passende Waffe und Riese oder Riesin müssen dann auf die entsprechende Rune einschlagen, um das Portal zu aktivieren. Sehr symbolträchtig, aber auch sehr primitiv.

Auf der Suche nach der Waffe der Eisriesen schritten die Tall Huntes durch besagte, riesige Doppeltüre hinein in einen Raum, den ich als Speisesaal bezeichne, was allerdings zu viel der Ehre sein dürfte für die Gelage, die hier vermutlich einstmals stattgefunden haben. Gewaltige Steinbänke und Tische sind um eine zentrale Feuerschale angeordnet, die überraschend in Betrieb ist und von der erstmals in dieser Umgebung so etwas wie Wärme ausgeht. Meine barbarischen Gefährten teilen sich in zwei Gruppen auf, um links und rechts von den Steinbänken diese zweite Halle zu erkunden. Anselma, Oda Nobunaga und Paggen auf der rechten Seite, die Gebrüder Maeral und Gumba mit dem Riesen Harshnag auf der linken Seite. Die linke Seite ist es auch, in der ein halbkreisförmiger Alkoven so etwas wie eine Bühne darstellen soll. Und an deren Decke sich ein Remorhaz eingerollt hatte, um auf Beute zu lauern. Auf Beute wie die Tall Hunters.

Remorhaz

Das Untier greift sofort an. Es ist irgendwie schaurig schön anzusehen. Ein riesiger, azurblauer Tausendfüßler mit über 30 Schritt Länge und orange leuchtenden Stacheln auf dem Rücken. Die Stacheln leuchten sogar noch einen tick stärker, nachdem Maeral einen Feuerball auf das Wesen schleudert. Abgesehen von dem Leuchten scheint der durchaus mächtige Zauber keine Wirkung zu hinterlassen. Ich bereite schon einmal den ein oder anderen Nachruf vor.

Die anderen Tall Hunters rennen derweil von der rechten Seite der Halle herüber. Alles hat hier riesenhafte Ausmaße, ihre Ankunft verzögert sich nicht unerheblich. Und obwohl Harshnag mit seinen Äxten der Kreatur aus Feuer und Eis schwer zusetzt, befürchtete ich, dass es um Gumba Kahn geschehen sei, nachdem die armlangen Mandibeln der Kreatur sich um seinen Zwergenkörper schlossen, nur um den Bruder des Maeral im nächsten Moment mit Haut und Haaren zu verschlucken.

Panik macht sich breit. Die anderen Tall Hunters greifen endlich in den Kampf ein und es gelingt ihnen gemeinsam das Monster zu erschlagen und den reichlich lädierten Gumba Kahn aus dem Schlund des Rieseninsekts zu ziehen. Er hat doch überlebt. Zähe Zwerge.

Der Speisesaal enthält tatsächlich eine gewaltige Streitaxt, wie sie zu den Statuen passen könnte. Während die Mehrheit der abenteurerischen Gemeinschaft für eine ausgedehnte Pause am wärmenden Feuer plädiert bevor es wieder an das Portal gehen soll, wühlt der Elf Maeral in den Eingeweiden des frisch geköpften Remorhaz. Und wird fündig. Ein pechschwarzes Schwert in einer silbrig glänzenden Scheide steckt unversehrt im Verdauungstrakt des Riesenkäfers.

Nachtblut. Mir ist sofort klar, was der forsche Elf in diesem Tempel ans Licht gezerrt hat. Ich werde mein Wissen für mich behalten, ich kenne diese Leute noch nicht lange und es wäre unklug diesen Sterblichen ein Mittel an die Hand zu geben, ihre Welt zu vernichten. Die Tall Hunters - allen voran der gerade dem Tod von der Schippe gesprungene Gumba Kahn - sind glücklicherweise vorsichtig gegenüber einem geschwätzigen Schwert, das alle Farben in sich aufzusaugen scheint. Ach was sage ich, nicht „scheint“, das Schwert saugt Farbe und Leben auf wie ein Schwamm verschütteten Wein. Die Seelen seiner Abermillionen Opfer entkommen der Scheide wie schwarzer Nebel, sobald man die Klammer löst. Und genau das tut Maeral in einer Art machttrunkenen Zustand, den ich schon oft beobachten konnte. Sein Bruder steht für ihn ein und versucht gemeinsam mit den anderen den Elfen daran zu hindern das Schwert zu ziehen. Gemeinsam gelingt es ihnen und sie vereinbaren, das Artefakt doch erst einmal eingehend zu untersuchen, bevor hier irgendwelche Experimente durchgeführt werden.

Die Vereinbarung hält. Ziemlich genau bis zum nächsten Morgen.

Gezeichnet

P

Professor der thanergetischen Osteologie
Magister der Intromittik
Administrator Klasse A6 der Bruderschaft der Ordnung