Scheideweg

Die Soldaten der Faust der Gerechtigkeit rücken an. Ich verstecke mich auf einer Plattform oben auf dem Baumwipfelpfads des unaussprechlichen Dorfes hinter dem Käfig mit dem gefangenen Halblingsmädchen und hinter Anselma, der Muskelfrau. Die Soldaten rufen laut und verlangen, dass meine Begleiter die Waffen fallen lassen. Die hören nicht darauf, was andere ihnen sagen. Statt dessen beginnt Maeral, der Finsterelf, eine Zauberformel zu murmeln. Und damit bricht der Balor los. Ob das mit dem Zaubern so eine gute Idee war?

Die Muskelfrau springt einfach über die Brüstung in die Tiefe. Oda, der zu groß geratene Kobold tut ihr es nach und springt ebenfalls nach unten durch die Äste der Bäume. Bescheuert. Die sind doch keine Flughörnchen! Das wird ein harter Aufprall, fürchte ich. Auch Paggen, der kleine Hibbelgnom hüpft nach unten, aber der schwebt eher wie so eine Feder. Spannend, was Gnome so alles können. Bleiben noch die Brüder Gumba und Maeral. Trägerzwerg und Finsterelf. Der Finsterelf versucht in einer Umkehr der Begebenheiten mit seinen dünnen Ärmchen seinen gepanzerten Bruderzwerg in die Höhe zu heben, nachdem er einen Flugzauber gewirkt hat. Inklusive Beladung. Also Rucksack mit dem halben Erbe seiner Zwergendynastie. Das sieht erwartbar komisch aus. Währenddessen wird der federleichte Fall des Hibbelgnoms mittels Bannmagie in herkömmlichen Fall umgewandelt. Mit hartem Aufprall in einen höchst mundanen Waldboden. Die zwelfischen Geschwister haben es inzwischen auch geschafft über die Brüstung und zappelnd nach unten zu fliegen, nachdem sie Gewicht abgeworfen haben. Ein weiterer Bannzauber der Kleriker der Faust sorgt auch hier erneut für eine höhere - aber ungewollte - Fluchtgeschwindigkeit. Ich sollte auch so langsam über den Flug nach unten nachdenken, oder?

Ich versuche es weniger mit der Methode toter Stein, sondern eher mit klettern und gelegentlichem Springen von Ast zu Ast. So fühlt sich das richtig an und ich glaube keiner der Beteiligten achtet in diesen Augenblicken auf ein harmloses Eichhörnchen. Weit unter mir kann ich sehen, dass sich keiner das Genick gebrochen hat. Mielikki sei Dank. Von Muskelfrau und Finsterelf ist weit und breit nix zu sehen. Der Riesenkobold stopft eine Leiche in seinen magischen Sack. Die Leiche der goldenen Echsenschlampe. Igitt! Die sind schon ganz schön bekloppt diese Leute, so viel steht fest. Der Hibbelgnom hilft ihm auch noch dabei. Bevor ich den Trägerzwerg entdeckt habe, kommt ein Krieger mit Bogen und Schwert angelaufen und fordert meine Begleiter ein weiteres Mal auf, sich zu ergeben. Und ein weiteres Mal wird das nicht gemacht. Der Riesenkobold rennt mit dem magischen Beutel davon, was ihm Pfeile in den Rücken einbringt. Aha, da ist auch der Trägerzwerg, ich entdecke ihn, weil er sowas wie eine magische Ranke beschwört, doch die hält den Krieger der Faust nicht lange auf, der dem Riesenkobold nachstellt. Was soll ich nur tun?

Ich kann gar nicht viel machen, schließlich bin ich nur ein winziges Eichhörnchen. Der Riesenkobold wird eingeholt und mit einem Riesenschwert niedergemacht. Ich denke kurz, „wie passend“, aber das ist nicht der Moment für billige Scherze. Trägerzwerg nimmt die Beine in die Hand. Der Hibbelgnom wird von einem weiteren Soldaten der Faust festgenommen. Ich entscheide mich, dem Trägerzwerg zu helfen, der arme Kerl hat wahrscheinlich die Hosen voll. Ich decke seine Flucht und wir schlagen uns in die Wälder. War das jetzt richtig, unsere Gefährten einfach so im Stich zu lassen?

Später holt uns der Finsterelf ein. Er berichtet, dass Riesenkobold und Hibbelgnom gefangen sind. Und außerdem die Eltern von Trägerzwerg und Finsterelf. Die beiden überlegen, was jetzt zu tun ist. Ich höre zu. Die beiden haben mehr Angst um ihr eigenes Leben als um das Leben ihrer Familien. Feiglinge. Als es darauf angekommen ist, sind sie nicht zusammengestanden und haben sich ihren Feinden gestellt, sondern sind abgehaut. Aber ich habe Mitleid. Framm und Pilnarr sind auch davongelaufen, als die Faust seinerzeit in mein Dorf eingefallen ist. Ich verzeihe ihnen. Es kann sich schließlich nicht jeder so mutig und ehrenvoll für seine Familie opfern wie ich, oder?

Mitten in der Diskussion über die Optionen, die man nicht ergreifen möchte, hören die beiden aus ihrem Versteck heraus, wie sich Pferde gemächlich auf dem Waldweg zum Dorf bewegen. Oben auf dem größten Pferd, das ich je gesehen habe, sitzt eine Silberritterin wie aus meinem Bilderbuch. Richtig mit blitzblanker Rüstung und einer Lanze mit Sichelmond-und-Sterne-Banner. Wie so ein Racheengel mit einem Leuchtekranz um den Kopf. Die Brüder geben sich zu erkennen. Es handelt sich um die Dame Natalia Hellmond, Bannerträgerin der Silberwacht und Gardewachtmeisterin des Hochmarschalls von Silbrigmond. Wenn sich das mal nicht wichtig anhört, denke ich beeindruckt. Sie sei auf dem Weg ins unaussprechliche Dorf und will dort nach dem Rechten sehen. Will sie die Faustlinge mit ihrer Lanze aufspießen oder mit der Aufzählung ihrer Titel in den Wahnsinn quatschen?

Finsterelf glaubt an den Silberengel und will sie schleunigst ins Dorf begleiten. Trägerzwerg hat immer noch die Hosen voll und will nicht. So trennen sich also jetzt auch die Brüder. Ich schaue beiden hinterher. Verdammte Axt, die Ritterin wird das hoffentlich richten, entweder so oder so, ich muss nach Trägerzwerg schauen. Ich laufe ihm hinterher. Auf dem Pfad der sich in kürze Gabeln wird. Ich kenne diesen Weg. Ich bin ihn schon oft gegangen.