Tiefe Schatten

Die Untoten sind in das Schattenfell entkommen. Mit einem einfachem Trick: eine allzu offensichtliche, wie falsche Fährte. Wie konnte es diesen verfaulten Gehirnen gelingen, den weisen Gumba Kahn, den klugen Maeral und den cleveren Paggen hinter das Licht zu führen?! Der Verbrecher und Untoten-Kollaborateur Amrath Mulnobar überdauert ebenfalls noch. Von Maeral in das Schattenfell gestoßen, doch dort sicherlich von seinen untoten Meistern empfangen. Wie unnötig.


Am Tage zuvor waren diese Umstände nicht vorhersehbar. Seiner gerechten Strafe sollte der zwergische Kastellan von Noanar’s Hold zugeführt werden. Doch erneut folgte Snake Eyes weder seinen eigenen, wortreichen Idealen noch meinem Rat. Anstatt “ständig wachsam gegenüber dem Bösen zu sein und es von allen Seiten zu bekämpfen”, machte sich mein Träger vor aller Augen im Dorf lächerlich, als er Amrath - statt ihn auf der Stelle zu erschlagen - in ein seltsames, kultisches Duell zwingen wollte. Was dieser wenig überraschend verweigerte. Statt das dahingeworfene Langschwert zu schwingen, schleuderte der Zwerg nur eine weitere Reihe von Beleidigungen gegen den schuppigen Kopf des Drachengeborenen. Unverrichteter Dinge zog Snake Eyes wieder von Dannen. Welch eine Schmach. Er tat mir leid. Vielleicht muss er über Schmerzen und Niederlagen auf seinen Irrwegen lernen, auf mich zu hören. Mir wäre es selbstverständlich lieber, er würde gleich auf mich hören. Für uns beide.

Unterdessen folgten die ungleichen Brüder Gumba und Maeral den Spuren der untoten Reiter. Dem elfischen Magier war es ein leichtes dem Pfad durch den Wald zu folgen. Die Eichhörnchendame, von Gumba auf den Namen “Miss Huffletooth” getauft, erzählte mir später, dass sie die Skelettpferde in einer tiefen Klamm im Wald entdeckte. Ohne ihre Herren. Und ohne Anstalten zu machen, die Gefährten anzugreifen. Oder wegzulaufen. Sie standen einfach nur da. Unheimlich. Mellon, der Familiar von Maeral, wurde mit einer Botschaft zurück zur Burg geschickt.

Dort waren Anselma und Paggen unterdessen dabei, den Keller und die unheimlichen Gräber einzumauern. Anselma schleppte lose Steine aus den verfallenen Bereichen der Burg, Paggen mischte eine Art Kleber zusammen. Ihre Arbeit war noch nicht fertig, als Snake Eyes, Amrath und Mellon zeitgleich in der Burg eintrafen.

Wald

Wir machten uns alle auf den Weg zu den beiden Fährtenlesern. Es dauerte eine Weile, weil wir ja immer noch den gefesselten Kastellan hinter uns her zerren mussten. Snake Eyes wollte ihn weder umbringen noch zurücklassen. Ich fühlte etwas. Etwas ähnliches wie Ungeduld. Doch auch ein wenig wie Enttäuschung. Ich beschloss meine Gefühle beiseite zu legen, der arme Snake Eyes war immer noch sichtlich erschüttert.

Gemeinsam folgten wir in der Dämmerung den Fußspuren, die von den Pferden weiter in die Schlucht inmitten des Waldes hinein führten. Und dann hinauf, immer weiter hinauf bis zum südlichen Kamm der breiten Klamm. Ich leuchtete den Weg. Die Spuren führten oben über der Schlucht den Weg wieder zurück, den wir tief unten bei einem gluckernden Bach genommen hatten. Sie führten zurück! Zurück nach Noanar’s Hold! Uns wird klar: wir wurden an der Nase herumgeführt! Schnell zurück zur Burg!

Das, von den Gefährten notdürftig verbarrikadierte Eingangsportal zur Burg war durch rohe Gewalt aufgebrochen. Mit gezogenen Waffen bewegten sich die Gefährten aufmerksam und vorsichtig durch alle Räume. Niemand außer uns war hier. Ein Verdacht bestätigte sich schnell: ein Teil der Mauerarbeiten zu den Kellern war niedergerissen und der mittlere der fünf Sarkophage geöffnet. Wie faulige Luft oder ein ständiger, tiefer Ton hing die Gefahr und die Verderbtheit mitten im Raum. Das Innere des Sarkophags war stockfinster. Nichts war zu sehen. Wie wenn der Sarg mit pechschwarzer Tinte bis zum Rand verfüllt sei. Paggen ließ ein Seil hinein und zog es wieder hinaus. Die Gefährten blickten einander mit mulmigen Gefühlen an. Doch sowas vermag Anselma nicht zu schrecken. Bevor jemand reagieren konnte sprang sie behände mitten hinein in die Schwärze. Sie sollte später berichten, dass sie in genau dem gleich Raum wieder aus dem Sarkophag herausgesprungen sei. Fäulnis in der Luft sei dort kein Gefühl gewesen, sondern waberte wie Flocken umher. Alle Farben waren gewichen. Keine Seele zu sehen. Niemand, auch keine schattenhaften Abbilder ihrer Gefährten. Gumba warf den gefesselten Amrath der Barbarin hinterher. Nur um ihn sogleich wieder rauszuziehen. Mit blauen Flecken und Prellungen. Aber am Leben. Noch bevor sich die Gefährten größere Sorgen um Anselma machen konnten, sprang diese auf die gleiche Art und Weise wieder zurück zu ihren Freunden.

Symbol

Maeral und Paggen erklärten, dass es sich ihrer Meinung nach bei dem Sarkophag um ein Portal handeln muss. In das sagenumwobene Schattenfell. Dem Reich der Toten. Der Ebene der Schatten. Eine der drei Spiegeldimensionen der Realität. Neben der Ätherebene und dem Feenwild. Es heißt, so sagte es Paggen, die Seelen der Toten müssten durch dieses Schattenreich wandern, um zu ihren Göttern in den Himmeln zu kommen. Letzteres weiß ich nicht. Sicher ist, das Schattenfell ist der Rückzugsort für die Verderbten. Oder eine Heimat, die sich selbst aus ihren fauligen Auren gebildet hat. Ich befürchte, ich bin noch zu schwach für diese Pfade der Untoten. Doch keiner der Gefährten machte Anstalten die Verfolgung durch das Portal aufzunehmen. Die Gefährten verschlossen Grab und Keller. Gründlich. Paggen erschuf mit seinem magischen Mantel eine Tür auf der Öffnung des Portalsarges. Bevor er sie verriegeln konnte, stieß Maeral den gefangenen Kastellan ein zweites Mal in den Sarkophag. Diesmal ohne Absicht ihn zurück zu holen. Mehrere Deckel der anderen Gräber wurden anschließend oben auf die Türe draufgestapelt. Das Mauerwerk zum Keller wurde fortgesetzt und vollendet. Die Gefährten beruhigten sich damit, dass sie sich in ihrer Absicht versicherten, wichtigen Persönlichkeiten in den großen Städten von diesem Ort zu berichten. Um dann wiederzukommen und die losen Fäden abzuschneiden.


Ich bemühe mich das Gute zu sehen. Die Untoten sind aus Noanar’s Hold vertrieben. Ich hoffe die magische Tür des Paggen hält den Durchgang in die Schatten geschlossen. Die Gefährten haben die Burg verlassen und sich wieder im White Hart Inn einquartiert. Die Brüder - die einzigen anderen Gäste - haben den Ort heute in aller Frühe verlassen.

Bleibt hier nur noch eine Pflichtaufgabe zu erledigen: die untoten Pferde zu erschlagen.

Danach möchte ich wieder mehr von dieser Welt kennenlernen. Mehr als Düsternis und Niedergeschlagenheit! Auf zu neuen Heldentaten!

Fiat Lux!